22.05.2014 / Inland / Seite 5Inhalt
Service »Union-Busting«
Studie: Bekämpfung von Gewerkschaftsarbeit verläuft in Deutschland zunehmend systematischer. Mitverantwortlich dafür ist die Deregulierung des ArbeitsmarktesVon Claudia Wrobel
In einem Restaurant gehen plötzlich die Lichter aus, Sicherheitskräfte besetzen die Ausgänge und hindern die Angestellten, das Gebäude zu verlassen. Mitarbeiter berichteten, sie seien über mehrere Stunden in der verschlossenen, abgedunkelten Gaststätte festgehalten worden. Unter Androhung einer Anzeige wegen Diebstahls sollen sie dazu aufgefordert worden sein, Kündigungen oder Aufhebungsverträge zu unterschreiben. Was klingt wie eine absurde Vorstellung, ist ein Fallbeispiel, das Elmar Wigand und Werner Rügemer in der Studie »Union-Busting in Deutschland. Die Bekämpfung von Betriebsräten und Gewerkschaften als professionelle Dienstleistung« darstellen. Es ist eine Analyse zu Gewerkschaftszerschlagung, -vermeidung und -vorbeugung, die am heutigen Donnerstag in Berlin präsentiert wird. Sie wurde von der Otto-Brenner-Stiftung, einer Wissenschaftseinrichtung der IG Metall, veröffentlicht. In der Untersuchung beschreiben Rügemer und Wigand Methoden, die bislang vor allem aus den USA bekannt sind. Dort ist die Bekämpfung von Arbeiterorganisationen eine regelrechte Dienstleistung.
Die hiesigen Netzwerke zur Bekämpfung von Beschäftigtenorganisationen seien zwar noch nicht so weit entwickelt, allerdings in Grundzügen schon erkennbar. Dem sei durch die sogenannten Reformen des Arbeitsmarktes und der damit einhergehenden Deregulierungen der Boden bereitet worden. Zwar merken die Autoren an, daß es noch einer genaueren Analyse der Zusammenhänge bedarf, sehen aber einen der Gründe für ein Erstarken antigewerkschaftlicher Praktiken in der Ausgliederung einzelner Arbeitsbereiche. Vorherige Studien haben bereits belegt, daß zwar in Großbetriebe meist eine gedeihliche Betriebsratsarbeit herrscht, deren Gründung in kleineren Firmen dafür aber ungleich schwieriger ist.
Wigand und Rügemer beschreiben, daß auch hierzulande Tendenzen erkennbar seien, die Unternehmen systematisch betriebsratsfrei zu halten bzw. unkritische Beschäftigte in diese Funktionen zu verhelfen, oder solche, die sich für ihre Kollegen einsetzen, wieder loszuwerden. So gebe es bereits Anwaltskanzleien, die diese aggressiven Methoden vorantrieben. Neben den individuellen »Lösungen«, die Unternehmen angeboten werden, gebe es Ratgeber, wie Firmen die »Probleme« selbst in den Griff bekommen können. So wird unter anderem der bekannte Arbeitsrechtler Helmut Naujoks genannt, der im Jahr 2002 das Buch »Kündigung der Unkündbaren« veröffentlichte und auf seiner eigenen Internetseite angibt, seine Hauptaufgabe bestehe darin, »Arbeitgeber vor dem Mißbrauch des Betriebsverfassungsgesetzes durch Betriebsratsmitglieder zu schützen«.
Dessen Methoden werden ebenso beleuchtet wie Unternehmensstiftungen und firmenfinanzierte Hochschuleinrichtungen, die mit »wissenschaftlichen« Analysen die Praxis unterfüttern und legitimieren. Außerdem beschreiben die Autoren das Handeln und die Funktion »gelber Gewerkschaften«, die »unter gewerkschaftlicher Tarnkappe mehr oder weniger offensichtlich die Interessen der Unternehmensleitung vertreten«. Diese würden häufig direkt von der Betriebsleitung eingesetzt, zumindest aber von ihr toleriert oder unterstützt.
Greifbar werden die verschiedenen Methoden, wenn die Autoren sie gegen Ende der Untersuchung anhand zweier Fallbeispiele darstellen. Spätestens dann wird deutlich, daß die theoretisch geschilderten Praktiken mittlerweile auch in der BRD Methode haben. So habe das eingangs genannte Beispiel im Jahr 2012 in einer Filiale der Steakhauskette Maredo in Frankfurt am Main stattgefunden. Anders als an vielen anderen Standorten habe es dort bis 2011 einen Betriebsrat gegeben. Die Wahl sei allerdings von der Unternehmensleitung angefochten worden, nachdem die Mitarbeitervertreter einen Mindestlohn von 8,50 Euro gefordert hatten. Die folgende Auseinandersetzung habe sich über mehrere Monate hingezogen, bis die betroffenen Angestellten einen Vergleich mit dem Unternehmen schlossen. In der Zwischenzeit habe Maredo sie durch als Kollegen getarnte Spitzel beschatten lassen und Bagatell-Kündigungen wegen des angeblichen Verzehrs von Brotkanten ausgesprochen. Des weiteren beschreiben die Autoren die Auseinandersetzung beim Softwarekonzern SAP, der bis 2006 der einzige deutsche DAX-Konzern ohne Betriebsrat war.
Rügemer und Wigand geben keine Handlungsempfehlung, sondern wollen eine Debatte anstoßen, da die »Sensibilität für Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz und skandalöse Arbeitsbedingungen« zugenommen habe.
www.otto-brenner-stiftung.dewww.arbeitsunrecht.deQuelle
http://www.jungewelt.de/2014/05-22/041.php